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Channel: Gruselgrotte blutdurstiger Würste
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Ein Slampoetrytext, abgetippt und vervollständigt. – Die vorgetragene Fassung war nicht so rund und das ist schade, aber nicht zu ändern. Um das Original inkl. des weggestrichenen totgeborenen Absatzes lesen zu können, müsstet ihr schon meinen Nachlass verwalten.

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Die Zeit bis zum Literatur-OpenMic läuft und ich habe endlich das passende Thema gefunden – bzw. es mich, da ich in der “Neun” eingenickt und erst kurz vorm ElbePark erwacht bin. Nun denn: ElbePark it is und ich habe knapp drei Stunden Zeit, um was Vortragbares zu verfassen.

Erschwerend kommt hinzu, dass mein Notizbuch voll ist und ich erst ein neues kaufen muss. Also speiche ich schnellstmöglich (und dass heisst “gehen, aber flink”) einmal durch den sog. Park, wobei der eigentlich ein enormes Gebäude ist und die Grünanlagen eingetopft, zum Pfennigpfeiffer. Die Eindrücke des Hinweges sind zahlreich, doch zuerst muss ich das Notizbuch besorgen.

erste Sitzbank:

Nun denn, das wäre geschafft. Ab hier schildere ich meine Eindrücke stets kurz nach dem Gedrücktwerden, bei Schreibpausen auf dem Rückweg zur Haltestelle.

Mein erster Eindruck: Pfennigpfeiffer, der vierzehn Jahre nach der Währungsreform nun endlich mal seinen Namen usw. Eventuell soll das alte Menschen dazu bewegen, dort all die Spritzplastproducts rauszukaufen sowie albern bedruckte Notizbücher wie dieses hier: Hund mit Rastafari-Wollmütze und Dreads, was soll das? Ah, stimmt: Rassismus ist’s. Übel.

(Zugegeben: Das Motiv ist einfallsreich insofern ich nicht damit gerechnet habe; der Schwarze Schwan unter den Covermotiven.)

nächste Sitzbank:

Schnell merkte ich, dass im Obergeschoss weniger Kundschaft herumläuft, über die ich schreiben könnte. Also zurück in den Hauptgang hinab mit der Rolltreppe, denn Treppen allein verbrauchen zu wenig Strom und wären diesem Gebäudekomplex unangemessen.

Ich erinnere mich dunkel, dass alles, was ich nun ohne Sonnenlicht durchgehen(?) muss, früher mal die Außengrenze bzw. -wand des Einkaufszentrums war. (“Megamall” mag ich als Begriff, auch weil sofort Zombiefilm-Assoziationen reinregnen. Aber, ganz ehrlich: der KaufPark Nickern ist dahingehend der attraktivere Schauplatz für Endzeitfilme – also, rein architektonisch. Der ElbePark ist eher ein Flughafengebäude ohne Ankunft/Abflug, Rollfeld und so weiter. Gähn.)

nächste Sitzbank:

Jeder Laden hat sein eigenes Radioprogramm. In den Schaufenstern: Puppen, die teilweise nachvollziehbar gekleidet sind und manchmal eher wie Ausstellungsstücke im Filmmuseum. Mir gegenüber steht ein Rucksack im Schaufenster, der aus der Totenmaske eines Großen Panda genäht zu sein scheint. Und es gibt Kapuzenshirts mit applizierten Stoff-‘Ohren’. Beides weckt Erinnerungen an die aussterbenden Großsäuger aus den Tierbüchern der Konsumenten-Kindheit.

nächste Sitzbank:

Nun sitze ich an der ehem. Passage zur Kaufland-Filiale auf einer Kunstlederbank. Hinter mir ragen Dachstützen auf, die ein Dach stützen, durch dessen kleine Fenster sorgfältig dosiertes Tageslicht scheinen darf. Vor der Vergrößerung des Einkaufszentrums hätte ich hier nassgeregnet werden können, nun bekomme ich nicht einmal mehr genug UV-Strahlung ab, um an Hautkrebs zu erkranken.

nächste Sitzbank:

Ich laufe an einer dreiköpfigen Familie vorbei, deren Tragegurtbaby mit den Armen zappelt und die Beine hängen lässt. Das Kind blickt nach vorn, was es lieber nicht sollte; es fliegt, an seines Vaters Bauch festgezurrt, durch den Hauptgang der Megamall. Babies erster optischer Overload.

nächste Sitzbank:

Ein weiteres Schaufenster. Davor tätowierte Menschen, dahinter schwarze Puppen, bekleidet mit Wollschals, Strickwesten und buntbedruckten Leggings: Der Stadtwinter kündigt sich an.

Leider ist’s bereits 17.45 Uhr und so habe ich keinen Grund, über die Menge an Schaufensterbummelanten zu lästern, denn vermutlich sind das alles ganz reguläre Arbeitnehmende. Obwohl… mehr als genug potentielle Käufer wirken “arbeitssuchend” oder zumindest sind sie offenbar mal wieder in Elternzeit.

nächste Sitzbank:

“Erlebe noch mehr ElbePark im Obergeschoss” steht geschrieben an der Rolltreppe nahe Toys’R’Us. Danke, aber Nein danke! Bereits so schon inhalierte ich bereits ausreichend audiovisuellen Lärm. Seltsam übrigens, dass es wohl keinen Einkaufszentren-typischen Geruch gibt. Wieso ist die Summe allen Sneaker-Abriebs, Haarsprays, Deos und Tätowierungen nicht stärker als der Geruch des Stoffs meiner Jacke? Luftballonknallen reisst diesen Gedanken ab.

nächste Sitzbank:

Die Kaninchen-Glaskästen vorm Zooladen sind für Kinder die Hauptattraktion des Einkaufszentrums, dicht gefolgt vom elektrischen “sprechenden Baum”, der, sobald man ihn versteht, ebenfalls zum Geldausgeben verlocken will. Alles hier dient dem Geldfluss. Bänke wie die, auf die ich mich zum Notieren setze, ermöglichen Ruhephasen im Kaufrausch und minimieren die Anzahl der Notarzteinsätze.

nächste Sitzbank:

Die Anzahl der gesichteten Schwangeren steigt derart absurdschnell, dass es wirkt wie von Jacques Tatí inspiriert. Hm, ob es von ihm was im MediaMarkt gibt? Vermutlich nicht, dafür mit Sicherheit reichlich GameOfThrones und Tarantinofilme. Mensch, wie ich GameOfThrones hasse reineweg des Konzeptes halber. Tarantino hingegen geht klar, denn er hat einen eklektischen Filmgeschmack. Genau wie ich.

nächste Sitzbank:

Apropos Filme: Ich habe das Einkaufszentrums-Hauptgebäude verlassen und mich vor dem UCI auf einen stehengelassenen Teppiche-Einkaufswagen gesetzt. An der UCI-Glasfront deutet außer deren Symbol nichts darauf hin, dass es sich um ein Kino handelt bzw., welche Filme aktuell gespielt werden. Dafür gibt es Gutscheinreklame sowie Ben&Jerry-Fensterbilder.

Über den ElbePark fliegt ein Flugzeug und trägt Menschen in ferne Länder, wo es ebenfalls ElbeParks gibt, die jedoch ganz anders heißen und nen etwas anderen Grundriss aufweisen; wo die Kundschaft dunklere Haut hat und für Spritzplastproducts und Reggaehund-Notizbücher zum Sesterzenpfeiffer strömen. Menschheit, ey!

Nachtrag, im HoleOfFame geschrieben:

Schön und gut das alles, aber inzwischen las ich das Vorzutragende durch, bevor ich’s tatsächlich vortrage, und bin mir unsicher. So ganz merkt man nämlich nicht, dass es eine Parodie sein soll auf den wütenden, verkrampft wortgewandten Schreibstil eines kürzlich volljährig gewordenen Konsumkritikers.

(Abgesehen davon, dass manche bereits als Sechzehnjährige auf diesem Niveau texten. Nur würden 16jährige Tatí nicht kennen und GoT ganz gut finden.)

Besonders dieses eine Detail mit dem Pandakopf ist viel zu ernstgemeint aus dem Kugelschreiber geflossen vorhin im ElbePark und so wirkt das ganze zumindest auf mich dann doch eher wie das unironische Werk eines drittklassigen Max-Goldt-Epigonen, der die Offene Bühne nutzt, um über die Auswüchse der Warenwelt abzuhassen.

Falls ich nun aber zugebe, dass es eine Stilparodie ist, *bevor* ich den Text vorlese, nimmt das meinem Auftritt den angestrebten Fremdschämfaktor, den er hoffentlich auslöst, sofern im Publikum Menschen sitzen, die nicht fassen können, wie plump das Vorgetragene ist.

Erst dieser – deshalb zwingend vorzulesende – Nachtrag also macht die Fremdbeschämten zu Komplizen eines Autors, der sich für etwas Besseres hält, indem er absichtlich eine fußlahme Konsumkritik vorträgt, um zustimmendes Nicken auszulösen bei denen, die die Welt ebenso sehen wie der emulierte Glossenschreiberling.

Wobei der Autor (also ich) dabei über sein krakeliges Notizstadium stolpert und sowieso keine geübte Vortragsstimme hat und sich damit selbst torpediert.

Das alles ist Spiel mit den Konventionen und Parodie auf das bei Offenen Bühnen zu erwartenden Textniveaus, selbstreferentiell ist dieser Text sowieso. In diesem Sinne, meine Frage ans Publikum: Wer weiß eigentlich, was genau ‘eklektisch’ bedeutet?

Obwohl… Ich hätte diese Frage doch nicht mitlesen sollen. Aus Rücksicht auf den verhaltenen Applaus.


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